Flipflops und Wollsocken - Seite 2
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Da naht die Rettung. An Vollmond- und Neumond-Tagen wird nicht praktiziert. Wegen der Energie. Die ist zu dolle zu dieser Zeit. Die Inder glauben fest daran, dass die meisten Unfälle immer dann geschehen, wenn sich Sonne, Mond und Erde auf einer Achse befinden. Deshalb hat die Gruppe gleich am dritten Tag frei.
Welch Erlösung. Ich kann den überstrapazierten Leib schonen. Da die übrigen Herrschaften noch energetische Reserven locker machen können und die Region erkunden wollen, erschließen wir uns das Terrain barfuß zu erobern.
Um die Laune obschon des recht hakeligen Geläufs zu optimieren, rufen wir kurzerhand die Bi-Dabbelju-Äj ins Leben. Viele Gründungsmitglieder für die Barefoot Walking Association finden wir allerdings nicht. Denn zum Aufnahmeritual gehört ein mutig-bescheuerter Sprung in einen frischen Kuhfladen. Mit beiden Füßen.
Den haptisch Interessierten sei verraten, dass sich die Erlebnisdichte dieser Behandlung nur unwesentlich von der teuer bezahlten Fangopackung beim heimischen Physio unterscheidet.
Apropos Erlebnisdichte. Der freie Tag beschert uns auch das Vergnügen auf dem Dach unseres Wohnhauses Kriya Yoga praktizieren zu dürfen. Reinigende Übungen kurz nach Sonnenaufgang. Wir beginnen mit leichter Kost: Nasendusche. Gesalzenes Wasser läuft durch ein Nasenloch rein und durch's zweite wieder raus.
Mein geschundenes Ego richtet sich mühsam daran auf, dass ich den Lehrern mitteile, dass das Wasser zu salzig sei. Nach fünf Jahren Selbsttest fühlt mein Riechkolben quasi blind, ob sich die Emulsion in einem optimal isotonischen Mischungsverhältnis befindet.
Die Gruppe erweitert die klärenden Sinneseindrücke unter Zuhilfenahme von kugelschreiberminendicken Gummibändchen. Zunächst im Salzwasser angewärmt sind diese sodann in ein Nasenloch einzuführen. Ziel ist, besagtes Erdbeer-Smoothie-rotes Bändchen durch den Rachen wieder ans Tageslicht zu zaubern.
Mittel- und Ringfinger helfen dabei den rutschigen Winzling am Rachenzäpfchen vorbeizuschleusen. Da ich die Prozedur wesentlich leichter beim linken Nasenloch durchführen kann, wird mir eine Chandra-Dominanz attestiert. Die Mondenergie übervorteilt quasi die der Sonne.
Die Meditationsdauer ist mir schon nach Halbzeit der Ausbildung zu kurz. 30 Minuten sind einfach zu wenig für das entspannte Beobachten der Prozesse, die durch das Schleiferprogramm freigesetzt werden. Als wir uns ein Meditationsobjekt suchen und die Gedanken darauf konzentrieren sollen, schwirrt mein Geist in den Erlebnissen der letzten Tage. Bis er eine echte Herausforderung erhält.
Leicht verspätet erscheint die junge tulpenwange Amerikanerin mit indischem Migrationshintergrund zur täglichen Sitzung. Mit nassen Haaren und Hotpants. Sie setzt sich seelenruhig zirka einen Meter von mir entfernt auf ihre Decke. OMG. Der Duft des frisch gewaschenen Hauptes nimmt mehr Raum ein als ihr yogisch idealförmig gemeißelter Körper. Die Meditation schickt sich somit ungewollt zu einer weiteren Prüfung an. Ich versage. Der Gedankenfasching ist nicht kontrollierbar.
Wieder einmal. Wird doch die Semantik des Wortes Kontrolle auf indischem Territorium in Grund und Boden gerieben. Nichts ist hier kontrollierbar. Der Fluss fließt wie er fließt. So kümmert der mit unregelmäßiger Regelmäßigkeit eintretende Stromausfall nach dem dritten Mal auch keinen Touri mehr. Man geht seelenruhig zum Beistellschrank und holt Kerzen.
Oder genießt die Dunkelheit, die zuweilen von singenden Wander-Mönchen belebt wird. Das sowohl optisch als auch geschmacklich herausragende Erlebnis des 6-Uhr-Tees am Ganges wird auf diese Weise um auditive Elemente angereichert: "Govinda jaya jaya, Gopala jaya jaya". Ich stimme ein.
Werde ich schleichend, aber unaufhaltsam zu einem Hindu? Unsere Lehrer hatten uns vorgewarnt: "Ju will piel laig an onien". Deponiere ich meine Kleidung zu Beginn der Ausbildung noch so akkurat im Schrank wie der Rekrut des Monats, bin ich nach drei Wochen nicht mehr der Stolz der Kompanie.
Ich begnüge mich damit die Textilien mit leicht abfälliger Handbewegung ins Einbaumobiliar zu befördern. Bedeutungsverschiebung aller Orten. Dinge, die vorher sooo wichtig waren, sind es jetzt nicht mehr. Viele weltliche Belange rangieren inzwischen unter LMA.
Als die Ausbildung fast vorüber ist, schlägt nochmal der Blitz der Verzweiflung ein. Nur wenige Tage vor der Prüfung will ich den verfluchten Bettel hinschmeißen und einfach nur weg. Ohne ersichtlichen Grund eigentlich. Alles ist schuld. Und nichts. Und Indien sowieso. Alles mega-verpekt und super-versifft hier.
Mir fällt gottgelobter Weise der Ratschlag meines Patenbruders ein: Wenn nix mehr geht, höre klassische Musik! Die Instrumentalversion von "Caro Mio Ben" wird mein Lebensretter. Mir wird klar, dass ich erneut das militärische Credo des "erst brechen und dann langsam aufbauen" durchlaufen habe. Gut so. Das Zermahlen alter Gewohnheiten zieht nicht nur ein gestärktes Selbstvertrauen, sondern auch fünf Kilo weniger Körpergewicht nach sich.
Die Rückkehr nach über 40 Tagen Karma-Waschmaschine hat ihren eigenen Charme. Der Fahrer kommt volle 20 Minuten ohne Hupe aus. Na gut, es ist nachts um 3:38 Uhr als wir starten. Die Rückfahrt nach Delhi wird begleitet von sturzbachartigem Regen und Tageslicht provozierenden Blitzen. So fühlt es sich an im Maschinenraum des Lebens. Tief unten werkelnd im Souterrain der Seele.
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