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„Lehrer sein, ist toll!“

| Interview mit Norbert Junker | Aktuelles

Norbert Junker, Jg. 1956, studierte Germanistik, Geschichtswissenschaften und Philosophie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf.

Nach seinem zweiten Staatsexamen begann er seine Arbeit als Lehrer an der St. Ursula-Schule Hannover und blieb ihr sein gesamtes Berufsleben verbunden. Gemeinsam veranstalteten wir u.a. jährlich den Talentwettbwerb.

Er wird die Schule nach vielen Jahren als Schulleiter in 2022 verlassen. Für uns ein gebührender Anlass zu einer Rückschau.

Wie ist der junge Norbert Junker zu der Entscheidung gekommen, Pädagogik zu studieren?

An meinem allerersten Schultag bin ich aus der Schule auf meine Eltern zugekommen und habe zu ihnen gesagt: „Ich werde Lehrer“. An diesem Wunsch hat sich nie etwas geändert. Er ist über die Zeit gereift, auch weil ich das Glück hatte, wirklich gute Lehrer und Lehrerinnen gehabt zu haben.

Meine Eltern und einige Lehrer waren sich zunächst nicht sicher, ob dieser Beruf der richtige für mich sei, ich aber schon. Für mich wurde es aber immer deutlicher, dass auch das Studium in diese Richtung gehen wird mit den Schwerpunkten Deutsch, Geschichte und Philosophie.

Wie war Ihr Lehramtsstudium?

Die modularisierte und sehr verschulte Form von heute gab es damals zum Glück noch nicht. Die Studierenden im Magister und Lehramtsstudiengang saßen zusammen in den Veranstaltungen. Die Anwärter für den Lehrerberuf hatten zusätzlich spezielle Seminare, z.B. in Pädagogik, die ein Professor seinerzeit mit den Worten eröffnete: "Schule funktioniert nicht wegen, sondern trotz der Pädagogik."

Ich habe die Studienzeit in Düsseldorf geliebt. Man war schnell zuhause in Mönchengladbach und doch weit genug davon weg. Es gab kaum Vorgaben, was wann zu belegen ist, man hatte die volle Freiheit bei der Auswahl der Kurse. Es gab am Ende auch ernsthafte Überlegungen an der Uni zu bleiben, aber die Anstellungen dort waren häufig nur befristet. "Mach' was dauerhaftes", dachte ich mir.

Wie ging es dann weiter?

Nach meinem ersten Staatsexamen beschloss das Land Nordrhein-Westfalen damals unter Ministerpräsident Rau, dass die Lehramtsausbildung ein Jahr zu warten hätte - wegen "Lehrerschwemme" müsse das Land Einsparmaßnahmen umsetzen.

Ich konnte die Zeit nutzen, um einerseits an der Uni in Düsseldorf als "HiWi" und andererseits als studentischer Lehrer an einem Gymnasium in Mönchengladbach zu arbeiten. Dies war insofern vorteilhaft, als dass ich mein anschließendes Referendariat quasi als alter Bekannter an eben dieser Schule absolvieren konnte. Die Zeit bis zum zweiten Staatsexamen hat mir enorm viel Freude bereitet und die Bestätigung gegeben, dass dieser Beruf der richtige für mich ist.

Der Studienabschluss war in Reichweite. Konnten Sie sich nun die Stelle aussuchen?

Das dachte ich auch zuerst, aber diesmal machte das Kultusministerium in NRW meine Hoffnungen zunichte. Ich erinnere mich wörtlich an den ersten Satz des Briefes: "Leute mit Ihren Fächern können trotz Prädikatsexamen auf absehbare Zeit in Nordrhein-Westfalen nicht mit einer Anstellung rechnen". Das war nicht unbedingt ermutigend, aber ich wollte auch nicht länger an der Uni bleiben und habe daraufhin ungefähr 300 Bewerbungen an öffentliche und private Schulen in ganz Deutschland geschickt.

Mir hatte u.a. die AG Freier Schulen Niedersachsen e.V. geantwortet, deren Vorsitzende die Schulleiterin der St. Ursula-Schule in Hannover war, Schwester Justina. Sie lud mich zu einem Kennenlernen ein und ich hatte von Anfang an ein gutes Gefühl. Sie nahm sich ganze fünf Stunden Zeit für unser Gespräch – 14 Tage später kam die Zusage. Ich konnte somit die Prüfungen zum zweiten Staatsexamen mit dem Wissen um eine sichere Anstellung absolvieren.

Wie verlief Ihr Weg zum Schulleiter?

Ich begann das Schuljahr 1985 mit einer Zweidrittel-Stelle und 17 Stunden pro Woche. Nach dem ersten Schuljahr hatte ich bereits die volle Stelle. Über die Positionen Assessor des Lehramts und Fachobmann für Geschichte wurde ich später u.a. in die Erstellung von Vertretungsplänen miteinbezogen. 1999 erfolgte dann die Ernennung zum stellvertretenden Direktor.

In diese Zeit fielen meine Kirchen-Verbeamtung und der Wechsel der Schulträgerschaft vom Orden der Ursulinen hin zum Bistum Hildesheim. Die St. Ursula-Schule bekam ihren ersten weltlichen Schulleiter mit Herrn Wirth. In 2012 bin ich nach einem Jahr der kommissarischen Schulleitung dann zum Direktor ernannt worden.

Welches persönliche Fazit ziehen Sie nach über 40 Berufsjahren?

Die Arbeit als Lehrer ist nach wie vor ein Traumberuf. Die reinen Verwaltungsaufgaben des Schulleiters hingegen sind es nicht. Was man derzeitig auch an den nicht vorhandenen Bewerbungen auf Schulleitungsstellen sieht. Aber das tut der Magie des Unterrichts keinen Abbruch.

Ich gehe aus einer Klasse anders heraus, als ich in sie hinein gegangen bin. In der Zwischenzeit verwandelt der Unterrichtsstoff alle Beteiligten. Sowohl die Schülerinnen und Schüler als auch die Lehrkraft gewinnen durch den gemeinsamen Austausch neue Erkenntnisse. Wenn es optimal läuft, lernen beide Seiten voneinander.

Das Schöne im Umgang mit Heranwachsenden ist ja, dass es jeden Tag wieder frisch und neu ist. Ich bin da ganz bei Schwester Justina, die sagte: "Der Weg der Schule ist der Schüler und die Schülerin". Sie sind der Bezugspunkt des pädagogischen Handelns und die Aufgabe des Lehrers ist es, ihnen Lichter aufgehen zu lassen. Das sind magische Momente, in denen man merkt, Lehrer sein ist toll!

Sie haben stets ein wertschätzendes Klima an der St. Ursula gefördert. Welche Motive haben Sie dabei verfolgt?

Ich kann mir Schule nur als einen Ort vorstellen, an dem man gern ist. Schule sollte ein Schon- und Entwicklungsraum sein, der den Kindern die Angst nimmt und sie aufbaut, wenn sie Fehler machen. Ich bin der Überzeugung: jeder kann etwas und niemand nichts.

Jeder und jede hat seine individuellen Stärken in ganz unterschiedlichen Bereichen, und so müssen wir das Zutrauen der Kinder fördern, sich immer wieder neu auszuprobieren. Es geht um die Erzeugung eines positiven Lernklimas, und das funktioniert nur mit Wertschätzung.

Insofern unterscheiden sich staatliche und kirchliche Schulen nicht voneinander, eine gute Pädagogik ist an jeder schulischen Einrichtung möglich, wenn man sich darauf verständigt. Vielleicht sind kirchliche Schulen dabei etwas im Vorteil, weil hier von einem gemeinsamen Wertefundament ausgegangen werden kann.

Der Ort Schule ist von gesellschaftlichen Veränderungen umgeben. Welche Eindrücke haben Sie gewonnen?

Es ist zu beobachten, dass einerseits die Erwartungen an die Kinder gestiegen sind und andererseits die familiären Konflikte offener ausgetragen werden. In den Achtzigern gab es noch die Idee der Kernfamilie. Über die Zeit haben sich die Beziehungsformen verändert und manche Eltern verfolgen heutzutage öfter ihre Individualinteressen als sich insbesondere bei Ehescheidungen um die seelischen Folgen ihrer Kinder zu kümmern.

Es gibt eine steigende Anzahl Kinder, die Beratungsbedarf oder schlimmer noch Schulphobien und Ähnliches entwickeln. Das ist eine Erfahrung, die an allen Schulen zu konstatieren ist, und das schon vor Corona. Viele Kinder kommen nicht mehr zum Luftholen. Am Ende fehlt für vieles die Zeit, aber die wurde auch bewusst aus der Schule heraus verordnet. Wir erleben eine entfesselte Bürokratie, die uns die Zeit für das Eigentliche raubt, die Pädagogik.

Eine aktuelle Studie belegt, dass immer mehr Grundschüler Defizite aufweisen. Ist das auch bei den Fünftklässlern an der St. Ursula festzustellen?

Man kann deutlich die Sondereffekte von Corona erkennen. Viele Kinder sind weiter zu zurück, als sie sein sollten und sind teilweise nach ihrer Grundschulzeit noch nicht in der Lage, einen ganzen Satz zu lesen. In den fünften Klassen haben wir das ganze Jahr damit verbracht, zunächst die wichtigsten Grundlagen zu legen. Der eigentliche Stoff des Jahrgangs kam dabei bisweilen zu kurz.

Auf der anderen Seite sehen wir Kinder, bei denen man den Eindruck haben könnte, dass sie all ihr Wissen schon im Kindergarten oder zuhause bekommen haben. Die langweilen sich dann häufig und verlieren so die Lust auf Schule.

Das Entscheidende ist, den Kindern aller Lernstufen diese magischen Momente zu ermöglichen. Dafür braucht man Zeit und einen Entwicklungsraum, der Wachstum und Reife ermöglicht. Das wird nicht im Turbo gehen schon gar nicht, wenn die Gesellschaft immer mehr Aufgaben an die Schulen delegiert.

Vielen Dank für das Gespräch!

 [Das Interview führten Michael Stratmann und Kay Bartelt.]