Mit dem Herz bei Menschen
Abitur, Studium und Karriere im Traumberuf – davon träumt wohl jeder Schüler hierzulande. Doch ganz so leicht ist das nicht. Wer einfach studiert ohne Praxiserfahrungen zu sammeln, gilt oft als Theoretiker und hat es bei den Bewerbungen deutlich schwerer. Das dachten sich auch die Schwestern Melanie und Stephanie aus Hannover. Zwei junge Frauen aus einer sri-lankischen Familie, die Menschen helfen wollen. In Deutschland. Ihrer Heimat.
Wir sind zu Gast bei Familie Sebastiampillai. Auch kurz nach Weihnachten ist die Tafel reichlich gedeckt. Original sri-lankischer Chai Tee mit Milch, verschiedene Kuchen und Kekse schmücken den festlich dekorierten Tisch. Diese Gastfreundschaft hatten wir nicht erwartet. Wir fühlen uns von Beginn an wohl. Melanie und Stephanie, die ihr Schulleben erst kürzlich hinter sich brachten, plaudern über ihre beruflichen Perspektiven. Wir lauschen gespannt ihren Ausführungen.
Melanie absolvierte nach dem Abitur am St.-Ursula-Gymnasium ein Praktikum im Kinderheim „Zur güldenen Sonne“ in Rehburg-Loccum. Die 19-Jährige Hannoveranerin mit tamilischen Wurzeln schätzt ihre berufliche Orientierungsphase so ein: „Ich fand es schwer nach dem Abitur zu sagen, was ich genau studieren wollte. Deswegen waren die praktischen Erfahrungen im Kinderheim sehr gut. Es war sehr interessant alles mitzuerleben und es hat mir sehr viel Spaß gemacht.“ Ihr berufliches Ziel ist nun das Studium der Sozialen Arbeit oder der Sozialpädagogik.
Melanie möchte mit Menschen arbeiten, vor allem mit Kindern und Jugendlichen. Das liegt in der Familie, denn ihre Mutter arbeitet als Tagesmutter. So hatte Melanie schon Zeit ihres Lebens Umgang mit Kindern und Einblicke in deren Erziehung. „Soziale Arbeit ist ja so vielfältig. Viele Kollegen, die im Kinderheim arbeiten haben Soziale Arbeit studiert oder sind ausgebildete Erzieher. Dazu gibt es vielfältige Fortbildungen im sozialen Bereich. Ich denke, man kann in dem Beruf selbst bestimmen, was man erreichen möchte“, sagt sie.
Zielstrebig, aber realistisch – sie kennt ihre Chancen gut: „Soziale Arbeit ist in letzter Zeit sehr beliebt geworden und so steigt auch der Numerus Clausus an den Universitäten. Auch die Aussichten später einen guten Job in dem Bereich zu bekommen, werden schwerer. Aber ich möchte es gerne machen.“ Da ist sich Melanie sicher.
Eine erfolgreiche Karriere braucht eine solide Basis
Ein Studium ist ein gutes Fundament, um darauf mit Spezialisierungen aufzubauen. Aber auch Praxiserfahrungen sind als Einstieg hilfreich. Deshalb absolvierte sie das Praktikum im Kinderheim. Sie betreute Kinder im Alter von 7 bis 17 Jahren, die ganz unterschiedliche Lebensgeschichten und Bedürfnisse haben. Die ganz Kleinen müssen noch von den Erziehern versorgt werden und die Großen werden dazu erzogen, für sich selbst zu sorgen. Auch braucht es oft therapeutische und psychologische Hilfe. Kein einfacher Arbeitsalltag.
Was ihr besonders an dieser Arbeit gefällt? „Ich habe mit den Kindern gespielt, habe mit ihnen Hausaufgaben gemacht, habe sie betreut, bin mit ihnen einkaufen gegangen und habe mit ihnen gekocht. Ich habe auch mal eine Nachtschicht mitgemacht, da dauerhaft jemand da sein muss.“, erzählt Melanie aus ihrem Arbeitsalltag. Für besonders auffällige Kinder war Melanie den ganzen Tag da, sie las ihnen vor, sie hörten gemeinsam Musik, räumten zusammen das Zimmer auf oder redeten viel. Auch ein naheliegender Reiterhof diente als Therapiezentrum.
Aber es ist nicht alles eitel Sonnenschein: „Es ist auch echt anstrengend, vor allem wenn die Kinder in der Vorweihnachtszeit sehr hibbelig und aufgeregt sind, weil sie nach Hause kommen. Die meisten Kinder haben noch Eltern oder Pflegeeltern, dort sind die meisten über Weihnachten.“
Das Ziel der Betreuung von Kindern und Jugendlichen im Kinderheim ist, diese wieder in ihre Familien zu integrieren. Im Idealfall bleiben Kinder nur vorübergehend in Obhut des Jugendamtes: „Sie versuchen immer die Eltern zu integrieren und mit einzubeziehen. Es gibt Tage, an denen Eltern zu Besuch kommen oder wo telefoniert wird.“
Aber obwohl es das Ziel ist, die Kinder zu den Eltern zurückzuführen, bleiben viele bis zum 18. Lebensjahr dort. „Wenn das Jugendamt meint, dass die Eltern bereit sind, die Kinder wieder aufzunehmen, dann geht es auf jeden Fall. Ansonsten bleiben sie dort bis zur Volljährigkeit.“, berichtet die 19-Jährige. Trübe Aussichten, die angesichts der Zuwanderung nicht rosiger zu werden scheinen.
Tanzen wie die Götter Indiens
Nach dem Ende des Praktikums in Rehburg-Loccum bewarb sie sich für einen Studienplatz. Sie wird bis Beginn des Studiums arbeiten gehen und weitere Praxiserfahrungen sammeln. „Die Heimleitung hatte mir angeboten, das Praktikum noch zu verlängern, das hat mich sehr gefreut“, sagt Melanie. Das zeigt das Vertrauen in die 19-Jährige. Vielleicht nimmt sie das Angebot an, aber sie möchte auch noch weitere soziale Einrichtungen ausprobieren und verschiedene Erziehungstechniken erlernen.
Das Gefühl für Menschen in Not kommt für Melanie vor allem aus ihrem Glauben: „Meine Eltern sind sehr gläubig, also glauben auch wir Kinder. Wir sind katholisch, obwohl unsere Vorfahren auch hinduistisch waren. Und wir haben schon mit vier oder fünf Jahren angefangen zu tanzen.“ Diese Erfahrungen möchte sie mit einbringen in ihren zukünftigen Beruf.
Sie tanzt den indischen Tempeltanz. „Wir hatten als Kinder Unterricht, jede Woche. Meine Schwester Stephanie hat noch ein bisschen länger getanzt als ich. Wir feiern einmal im Jahr ein tamilisches Weihnachtsfest im Internationalen Katholischen Zentrum Hannover in der St. Marien-Kirche, wo wir getanzt haben. Einmal im Monat feiern wir dort auch einen tamilischen Gottesdienst. Wir haben viele Jahre getanzt, aber heute tanze ich nicht mehr mit. Jetzt sind die Jüngeren dran.“, sagt Melanie leicht verschmitzt.
Hoffnungsschimmer Prävention
Auch Melanies Schwester Stephanie hat große berufliche Pläne. Die 21-jährige will Ärztin werden und studiert im zweiten Semester Medizin an der Universität Göttingen. „Ich interessiere mich sehr für Public Health, also für Gesundheitsmanagement und Gesundheitsförderung. Ich glaube, dass wir in Zukunft mehr die Gesellschaft als Ganzes im Blick haben müssen, als den einzelnen Patienten. Denn das Individuum kommt meistens viel zu spät in Therapie“, meint Stephanie.
Eine interessante These und ein weiser Blick in die Zukunft reicher Gesellschaften. Schon jetzt stehen Volkskrankheiten wie Diabetes, Herz- und Kreislauferkrankungen und Depressionen in den westlichen Ländern oben auf der Liste der Top-Krankheiten.
Vor und während ihres Studiums absolviert auch Sie verschiedene Praktika, um möglichst viele Einblicke in den Praxisalltag eines Mediziners zu bekommen. „Ich glaube, Prävention und Aufklärung wird zu wenig betrieben. Die meisten Menschen sind sich einfach nicht bewusst, was sie mit ihrer Lebensweise anrichten. Die Werbung suggeriert vermeintlich gesunde Lebensmittel und in Wahrheit stecken z.B. oft schädliche Süß- und Konservierungsstoffe drin“, mahnt Stephanie.
Dass sie damit gegen eine starke Unternehmenslobby kämpft, die ihre Produkte verkaufen will – das ist ihr bewusst. Doch sie möchte den Kampf aufnehmen. „Ich denke, dass Gesundheit in Zukunft zu einem Luxusgut wird“, sagt die 21-jährige Medizinstudentin. Schon heute hätten es viele Patienten schwer, spezielle Therapien oder teure Medikamente zu erhalten. „Die Kassen zahlen vieles einfach nicht mehr“, so Stephanie.
Natürlich weiß Stephanie, dass Krankenhäuser in erster Linie Wirtschaftsbetriebe sind. Gerade deshalb möchte sie sich künftig aber dafür einsetzen, dass der Mensch nicht erst als Patient im Fokus steht. Es geht ihrer Meinung nicht darum Therapien zu verkaufen, sondern Prävention zu fördern. Ihr Ansatz ist also: Vorsorge statt Nachsorge. Sehr interessant, hoffentlich wird sich diese Botschaft in den Köpfen der Menschen festsetzen.
Melanie und Stephanie gehen ihre beruflichen Wege nach dem Abitur konsequent. Sie träumen davon als Sozialpädagogin und Ärztin in Deutschland zu arbeiten. Im Dienste der Menschen. Im Ausland, z.B. in Sri Lanka zu arbeiten, das ist für beide momentan keine Alternative. „Dafür hängen wir zu sehr an unserem Zuhause. Und das ist vor allem in Deutschland“, sagen sie unisono und strahlen. Dem können wir nur zustimmen und wünschen ihnen einen erfolgreichen Start ins Berufsleben.